Ein sehr gutes Buch über ein wichtiges Thema!
Autor: Susanne Fülscher
Titel: #fingerweg
Verlag: Carlsen
Herkunft des Buches: gekauft
Format: Taschenbuch
ISBN: 9783551315434
Seiten: 224
Veröffentlichungsdatum: 22.12.2016
Preis: 6,99€
Klappentext:
Das Abi in der Tasche. Und gleich erfüllt sich der nächste Traum: Lisa ergattert den ersehnten Praktikumsplatz beim glamourösen Produzenten Maxime Léon! Klar, jetzt stehen ihr die Türen zur Filmhochschule offen. Obwohl ihr die Arbeit Spaß macht, fühlt sie sich zunehmend unwohl. Ihr Chef macht nicht nur zweideutige Bemerkungen. Er berührt sie auch immer öfter scheinbar zufällig. Als Lisa es nicht länger aushält, beschließt sie ihr Schweigen zu brechen und sich zu wehren.
Link zur Verlagsseite: #fingerweg beim Carlsen Verlag
Rezension
Lisas Leben ist perfekt! Am Tag ihres Abi-Balls bekommt sie die Zusage für ein Vorstellungsgespräch bei dem Filmemacher schlechthin. Trotz Kater und Übermüdung bekommt Lisa das Praktikum und kommt Tag für Tag ihrem großen Traum ein Stückchen näher. Sie lernt über jeden Produktionsprozess etwas und merkt immer mehr, dass das wirklich ihre Welt ist. Alles könnte perfekt sein, wäre da nicht ihr Chef. Zuerst bemerkt Lisa es gar nicht wirklich. Sie hält die zufälligen Berührungen für genau das: Zufall. Doch damit liegt sie falsch. Es werden immer mehr und immer eindeutigere Berührungen und bald schon muss sie sich eingestehen, dass sie sexuell belästigt wird. Doch was soll sie tun? Kündigen? Ihren Chef anzeigen? Das Praktikum ist ihre große Chance! Aber kann sie die Belästigung immer weiter hinnehmen? Wer weiß, wie weit ihr Chef zu gehen bereit ist?
Dieses Buch wurde vor der #MeToo-Debatte veröffentlicht, doch es behandelt genau dieses Thema. Eine junge Praktikantin – noch dazu im Filmbusiness – wird von ihrem Chef zunehmend eindeutiger sexuell belästigt und weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Es ist auch eine schwierige Situation. Sie ist auf das Praktikum angewiesen und vollkommen von einem guten Zeugnis ihres Chefs abhängig. Zunächst ist sich Lisa auch gar nicht sicher, ob da wirklich etwas passiert ist. Bildet sie sich das nur ein? Ist sie einfach zu empfindlich? Ist das alles nur in ihrem Kopf?
Ich denke so ziemlich jede Frau musste sexuelle Belästigung in der einen oder anderen Form schon erleben. Seien es ach so witzige Kommentare, eindeutige „Komplimente“ oder auch ganz „sachliche“ Beobachtungen. Und dann gibt es da noch die körperliche sexuelle Belästigung durch „zufällige“ Berührungen, das Streichen von Brust oder Po oder ganz plump das Grabschen. Von der Extremform des sexuellen Übergriffs ganz zu schweigen.
Bei mir waren es Kommentare über die Größe meiner Brüste, das Streifen von ebenjenen und Grabschen. Zum Glück bei mir nicht am Arbeitsplatz. Aber trotzdem habe ich mich in dem Moment gefragt: passiert das gerade wirklich? Abgesehen vom Grabschen, das war eindeutig und ich bin wirklich dankbar für meine Reflexe, die dem Typ eine gescheuert haben, bevor seine Hand wirklich kritische Stellen berühren konnte.
Aber gerade diese „zufälligen“ Berührungen und das „Streichen“ von bestimmten Stellen – man ist sich einfach oft nicht sicher. Man zweifelt. Man möchte ja auch niemanden zu Unrecht beschuldigen. Aber genau das ist der Knackpunkt. Werden diese Kerle nicht frühzeitig durch klare Ansagen oder Konfrontationen gestoppt, denken sie, sie hätten mit einem leichtes Spiel. Doch wenn man nicht sicher sagen kann, ob es wirklich Absicht war, tut man sich damit schwer.
Genau so ergeht es auch Lisa, der Protagonistin in diesem Buch. Sie ist sich anfangs überhaupt nicht sicher, ob das wirklich passiert. Ob eine Berührungen Absicht, oder nur Zufall war. Sie hält sich selbst für verrückt, weil sie nicht glauben kann, dass ihr Chef so etwas tun würde. Als sie der Wahrheit ins Gesicht blicken muss, wird ihr auch ihre Hilflosigkeit bewusst. Das ist das schlimme daran, wenn die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geschieht und noch dazu vom Chef ausgeht. Dieses Buch macht das wirklich schön deutlich. Die vielen Gefühle in Lisa, die Angst, der Ekel, die Sorge um ihre Zukunft.
Fazit: Ich finde dieses Buch ist ein wirklich wichtiges Plädoyer gegen sexuelle Belästigung und gegen das Schweigen. Jede Frau kann zum Opfer von sexueller Belästigung werden und jede Frau durchlebt diese verschiedenen Phasen. Das Buch macht wirklich schön deutlich, was das Problem mit sexueller Belästigung ist. Wie beweist man sie? Wie macht man sich klar, dass es nicht nur im eigenen Kopf ist, sondern tatsächlich geschieht?
Offiziell ist dieses Buch ein Jugendbuch, aber ich finde man kann es auch sehr gut als Erwachsener lesen. Klar ist die Protagonistin sehr jung, aber gerade ihr junges Alter verdeutlicht die Selbstzweifel sehr gut, die man vielleicht einer älteren Protagonistin nicht so leicht abkaufen würde, einfach, weil man Erfahrung voraussetzt im Deuten von Signalen. Dabei ist gerade das die falsche Sichtweise. Nur weil eine Frau schon mal Sex hatte oder gar verheiratet ist, bedeutet das noch lange nicht, dass sie sich bei dem Thema nicht mit genau den gleichen Selbstzweifeln herumschlagen muss, wie Lisa.
#MeToo ist heute so präsent, wie es 2017 war, als der Hashtag viral ging. Noch heute werden zahllose Frauen Opfer sexueller Belästigung. In einer Zeit, in der ein selbst Tonbandaufnahmen des US-Präsidenten, wie er damit prahlt, Frauen unter den Rock gegriffen und sie unsittlich berührt zu haben, nicht dazu führen, dass er aus dem Amt gejagt wird, müssen wir Frauen eben selbst dafür Sorgen Aufklärung zu betreiben und einander zu unterstützen.
Von mir bekommt das Buch volle 5 Sterne.