Ein wirklich erschütterndes, aber so unglaublich wichtiges Buch!
Autor: Garrett M. Graff
Titel: Und auf einmal diese Stille - Die Oral History des 11. September
Original Titel: The Only Plane in the Sky. The Oral History of 9/11 (OT)
Übersetzer/in: Philipp Albers / Hannes Meyer
Verlag: Suhrkamp
Herkunft des Buches: Rezensionsexemplar
Format: Softcover
ISBN: 9783518470909
Seiten: 543
Veröffentlichungsdatum: 17.08.2020
Preis: 20,00€
Klappentext:
Kein Tag hat sich stärker ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Die Bilder, die Geschichten, die Konsequenzen. Doch die Worte derer, die den 11. September tatsächlich erlebt haben, fehlten fast zwanzig Jahre lang. Garrett M. Graff hat diese Worte gefunden, er hat alle Dokumente, alle Interviews zusammengetragen, hat die Stimmen der Einsatzkräfte, der Zeugen, der Überlebenden versammelt und daraus eine überwältigende Erzählung kompiliert – vielstimmig, erfahrungsecht, im O-Ton.
Und auf einmal diese Stille ist das herzzerreißende Logbuch eines historischen Tages und ein monumentales Zeugnis von Hoffnung und Menschlichkeit in der Dunkelheit.
Link zur Verlagsseite: Und auf einmal diese Stille - Die Oral History des 11. September beim Suhrkamp Verlag
Rezension
Jeder ab einem gewissen Alter weiß noch ganz genau, was er am 11. September 2001 gemacht hat, als er oder sie von den Anschlägen erfuhr. Ich war damals vor gut einer Woche 11 Jahre alt geworden, genau 1 Jahr zuvor war mein Vater in den USA, unter anderem auch im World Trade Center. Ich weiß noch, dass ich gerade von der Schule gekommen war, meine Mutter und meine Oma waren Zuhause, mein Vater, ein Bundeswehrsoldat im Büro. Das Telefon klingelte, meine Mutter ging ran und sagte dann, wir sollen den Fernseher anmachen. Das taten wir auch und sahen den Rauch aus dem ersten Turm. Wir rannten die Treppe hoch zu meiner Oma und sagten ihr, sie solle den Fernseher anschalten und in dem Moment sahen wir, wie das zweite Flugzeug in den zweiten Turm flog. Wir waren alle geschockt. Aber ich war erst 11 Jahre alt und begriff nicht, was das bedeutete. Wir saßen im Wohnzimmer meiner Oma, auf ihrem unbequemen rosa Sofa, als die Türme einstürzten und die Welt sich für immer veränderte.
Wie gesagt, ich war erst 11 Jahre alt und verstand nicht, was da passiert war. Ich kann mich noch erinnern, dass ich genervt war, weil wochenlang im Fernsehen immer nur Berichte über die Anschläge liefen, erst mit mehreren Wochen Verzögerung verstand ich, was da passiert war. Wir hatten amerikanische Soldaten als Nachbarn und erst als ich sah, wie sie litten und trauerten, verstand ich, dass viele, viele Menschen gestorben waren und etwas wirklich Großes passiert war.
Dieser Tag setzte Ereignisse in Gang, die auch mein Leben für immer verändert haben, wenn auch erst mit einiger Verzögerung. Mein Vater wurde in einen Auslandseinsatz geschickt nach Kuweit, wegen Bushs „Krieg gegen den Terror“ davon hat sich unsere Familie nie erholt, seitdem ist alles anders.
Warum ich all das erzähle? Weil es genau darum in Garrett Graffs Buch geht. Um diesen Tag, der die Welt veränderte und wie die unterschiedlichsten Menschen diesen Tag wahrgenommen haben. Es geht um direkt Betroffene, Angehörige, Überlebende, Helfer und „Zuschauer“, um einfach jeden, dessen Leben von diesem Tag berührt wurde.
Ich hatte von Anfang bis Ende Gänsehaut. Es ist kein Buch, das man mal eben durchsuchtet, es ist schwere Kost, nicht durch den Schreibstil, sondern einfach auf Grund des Themas. Wie diese Menschen erzählen, sorgt dafür, dass man es mit ihnen erlebt. Und dann natürlich noch die eigenen Erinnerungen an den Tag.
Es geht auch nicht „nur“ um das World Trade Center, es geht genauso auch um das Pentagon und Flug 93.
Ich habe beim Lesen sehr viel geweint. Das Buch macht diesen Tag wieder lebendig. Es sorgt dafür, dass man ständig daran erinnert wird, dass über 2900 Menschen ihr Leben verloren und über 6000 verletzt wurden. Dazu kommen noch die vielen Helfer, die an den Folgen verstorben sind, viele davon an Lungenkrebs durch den im Gebäude verbauten Asbest. Und nicht zu vergessen die vielen Soldaten und Einheimischen die in Afghanistan und im Irak ihr Leben verloren haben. Macht man sich diese Zahlen bewusst, und dass es eben nicht nur Zahlen sind, sondern Menschenleben, dann kann man nur erschüttert sein.
Es gibt einen Film über den Anschlag auf das World Trade Center aus dem Jahr 2003 mit Nicholas Cage – man mag über den Film denken, was man will, aber was dieser Film mit zwei Szenen wirklich veranschaulicht ist, dass so viele Menschen einfach „weg“ sind, nach diesem Tag. Am Anfang des Films sieht man volle Autobahnen, volle Züge, volle Fähren, alles Menschen, die zur Arbeit fahren. Am Ende des Films sieht man die gleichen Orte, alle leer. Dadurch wird einem eindrucksvoll bewusst, wie viele Menschen danach einfach „weg“ waren. Und das finde ich so wichtig. Man spricht immer nur von den Anschlägen, aber nie von den Menschen. Dieses Buch ist genauso. Es zeigt uns die menschliche Seite hinter all dem.
Fazit: Dieses Buch ist eine Doktorarbeit in Geschichte, aber das „stört“ nicht beim Lesen. Das Buch ist einfach unglaublich. Es erschüttert, es rührt zu Tränen, es führt einem einfach wieder vor Augen, was damals passiert ist und wie groß das war. Es geht nicht darum eine genaue zeitliche Abfolge darzustellen oder Erklärungen für das „Wie“ zu finden. Es geht um Menschen und ihre Erinnerungen. Und es geht um einen Tag, den niemand, der ihn bewusst erlebt hat, jemals vergessen wird.
Von mir ganz klar 5 Sterne!