Ich habe das Hochstapler-Syndrom
Manche haben es vielleicht mitbekommen, andere nicht, aber heute möchte ich mit euch über das Hochstapler-Syndrom auch bekannt als Impostor-Syndrom reden.
Wir alle kennen Selbstzweifel und diese Stimme in unserem Kopf, die uns immer wieder sagt, wir seien nicht gut genug.
Das Hochstapler-Syndrom ist, wenn man so will, Selbstzweifel auf Droge. Betroffene zweifeln ständig an ihrem Können, vor allem im Beruf. Sie führen (berufliche) Erfolge auf Glück oder Zufall, allgemein auf äußere Faktoren zurück und nicht auf ihre eigenen Fähigkeiten. Sie sind der Meinung überschätzt zu werden, wenn man sie lobt. Gleichzeitig leben die mit der ständigen Angst, als Hochstapler/Betrüger/Blender entlarvt zu werden.
Bei mir fing das alles an der Uni so richtig an. Ich hatte eine beste Freundin, die ebenfalls Germanistik studierte, ich im Nebenfach, sie im Hauptfach. Sie hat immer für jede Prüfung gelernt wie verrückt, wirklich heftige Stundenanzahl, ich habe deutlich weniger gelernt, aber oft die gleiche Note bekommen wie sie oder sogar bessere. Das hat sie immer gestört und sie meinte immer, das sei unfair, weil sie ja so viel mehr gelernt habe, als ich. Damals fing es an, dass diese Stimme plötzlich da war und ihr Recht gab. Ich fing an meine guten Noten auf Glück und Zufall zu schieben. Und irgendwann schämte ich mich sogar dafür, wann immer sie darauf bestand unsere Noten zu vergleichen, weil diese Stimme mir erfolgreich eingeredet hatte, die guten Noten nicht verdient zu haben.
Ich habe meinen Bachelor gemacht, meinen Master und die ganze Zeit darauf gewartet, dass jemand kommt und mich als Hochstaplerin entlarvt und aus dem jeweiligen Kursraum wirft. Mir fiel das Studium leicht und das machte mich misstrauisch. Es darf doch gar nicht leicht sein! Das Studium soll schwer sein. Warum lernten alle anderen wie verrückt und ich nicht? Warum waren meine Noten so gut, obwohl ich mich kaum anstrengte? Es musste an mir liegen, ich machte etwas falsch und irgendwann würde ich auffliegen. Irgendwann würde jemand erkennen, dass ich irgendwie ohne es zu ahnen eine Lücke im System gefunden hatte oder so und mich rauswerfen. Ihr merkt, wie irre diese Gedanken irgendwann werden.
Als ich Vollzeit an meiner Promotion gearbeitet habe, die ich aktuell zugunsten des Lektorats auf Eis gelegt habe, durfte ich einen Vortrag halten. Alle haben mir im Vorfeld durch die Bank tolles Feedback gegeben, aber trotzdem habe ich während des Gesamten Vortrages nur darauf gewartet unterbrochen zu werden und vom Veranstalter zu hören, dass mein Vortrag schrecklich sei. Ich habe dort so viele andere Doktoranden kennengelernt und alle kamen mir so viel fähiger, erfolgreicher, talentierter und “besser” vor. Ich habe bei jeder Email meiner Doktormutter, nach jedem Stück Text, das ich ihr geschickt habe, egal wie unbedeutend es auch war, darauf gewartet, dass sie mir schreibt, ich sei zu “schlecht” für eine Promotion und sie würde sich von mir trennen.
Das Hochstapler-Syndrom geht oft einher mit Perfektionismus. Man versucht die Unzulänglichkeiten von denen man selbst fest überzeugt ist sie zu haben, mit Perfektionismus auszugleichen. Mich hat mein Hochstapler-Syndrom damals nahe an den Rand eines Burnout getrieben. Ich war einfach total fertig. Ich war so in dieser Spirale drin, dass ich nicht gut genug bin, dass alle anderen besser sind, dass ich jeden Moment fallengelassen werde, dass ich nichts mehr tun konnte. Ich habe alles tausendmal hinterfragt und mit meiner Vorstellung der anderen Doktoranden verglichen.
Letztlich half nur, die Doktorarbeit komplett auf die Seite zu legen und mich ins Lesen zu stürzen. Ich musste den Kopf frei kriegen. Also habe ich gelesen und gelesen und gelesen und irgendwann haben mich Leute in den Buchcommunitys angesprochen, ob ich schon einmal an einen Blog gedacht habe. Und sofort grätschte das Hochstapler-Syndrom ein und versuchte mir einzureden, meine Rezensionen seien dafür viel zu schlecht.
Mein Hochstapler-Syndrom ist zum Glück nicht so extrem ausgeprägt, wie bei anderen, aber auch mir macht es oft zu schaffen. Es hat mich lange davon abgehalten meinen Blog zu starten. Aber ich habe sehr viel recherchiert und irgendwann erkannt, dass ich dabei eigentlich kein Risiko eingehe. Im schlimmsten Fall liest niemand meinen Blog und ich habe für ein Jahr die Gebühr für die Webseite bezahlt. Also habe ich mir gedacht: du kannst mich mal du blödes Hochstapler-Syndrom und den Blog einfach gestartet. Ich habe es noch keinen Tag bereut. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, zweifle ich noch heute an der „Qualität“ meiner Rezensionen.
Durch den Blog bin ich letztlich zum Lektorieren gekommen. Auch da hat es sich eingemischt. “Du bist nicht qualifiziert genug”, “alle anderen Lektoren sind so viel besser als du”, “du wirst davon auf die Nase fallen und am Ende fährst du alles gegen die Wand”. Aber auch hier kam irgendwann der Punkt, an dem ich einfach gesprungen bin.
Trotzdem spüre ich es jeden Tag. Ich bekomme tolles Feedback als Lektorin und schon meldet sich diese Stimme, die mir einflüstert: “eine andere Lektorin wäre bestimmt noch besser”. “Warte nur, gleich kommt die Email, dass sie sich geirrt hat und du versagt hast.” Bei jeder Rechnung höre ich die Stimme, die meint, ich habe kein Recht Geld für meine Arbeit zu verlangen, weil es bestimmt andere Lektoren gibt, die besser sind als ich. Außerdem macht es mir Spaß und fällt mir leicht - das kann so nicht richtig sein.
Ich kämpfe täglich mit diesem Hochstapler-Syndrom. Ich habe erkannt, was es ist und das hat mir sehr geholfen. Ich habe es geschafft, diese Stimme von der Realität zu trennen und meistens gelingt es mir, die Stimme zu ignorieren, oder sogar zum Schweigen zu bringen.
Ich möchte mit diesem Post darauf aufmerksam machen, dass es dieses Syndrom gibt und Betroffene sich vielleicht in der Beschreibung wiederfinden und erkennen, dass es das Syndrom ist, dass ihnen das einflüstert.
Denn schon bei diesem Beitrag höre ich wieder diese Stimme, die mir sagt: “Was bildest du dir ein einen solchen Beitrag zu schreiben? Das will von dir garantiert keiner lesen. Du bist viel zu eingebildet. Warum sollte das, was du hier schreibst irgendetwas bewegen?”
Und diese Stimme hat unrecht! Sie liegt falsch und deswegen kann sie mich mal!
Und Betroffenen möchte ich sagen: Egal, was euch diese Stimme einflüstert, egal, wie sehr ihr an euch zweifelt: Versucht auf die anderen Stimmen zu hören, Kollegen, Chefs, alle, die euch sagen, dass ihr euren Job gut macht. Dass ihr fähig seid. Lasst euch von diesem Syndrom nicht fertig machen und an den Rand des Abgrunds treiben. Und wenn ihr es allein nicht hinbekommt: Es ist ein anerkanntes Syndrom, eine “Krankheit”. Sucht euch Hilfe. Bitte!